Haus der Theatergemeinde, Vernissage: Montag, 11. November 2024, 18.30 Uhr
Eisige Temperaturen, turmhohe Schneemassen begleiten Viktoria Salma und ihren Ehepartner als sie im Winter 2023 mit einem voll beladenen LKW und zwei Katzen endlich vor ihrer Waldhütte in Dalsland/Schweden Halt machen. Nein, keine Winterromanze, vielmehr ein Daueraufenthalt steht an in einer Klause, wo gleich zu Beginn die Heizung partout nicht anspringen will.
Aber es gibt einen Kamin, wo man sich früher an langen dunklen Winterabenden Geschichten, Sagen oder Gerüchte erzählte, wo man fantasierte, imaginierte, dramatisierte, wisperte und munkelte, eindringlicher, farbiger und spannender als jeglicher TV Krimi. So wie das sinnliche und übersinnliche Abenteuer „Unterm Eis“ von Viktoria Salma.
Es ist nicht allein die geplante „kreative Vertiefungsphase“, die Viktoria Salma antreibt, ein Dasein in Stille, Entlegenheit und Genügsamkeit zu führen. „Ich möchte mich in der Natur nicht mehr als Fremdkörper oder gar als User, sondern als organisches Teilelement empfinden“, sagt sie.
Dieses schlichte, kontemplative Leben in der hautnah erlebten Natur, im Spiegel und Rhythmus von Jahreszeiten, von Wild, Wäldern und Seen, ein Alltag jenseits von Lärm, Stress, Rastlosigkeit, obligatorischen Aktivitäten, Konsum, das ruft -künstlerisch betrachtet- andersartige Blickrichtungen und neue Schwerpunkte auf den Plan.
„Sich auf Unbekanntes einlassen“, diese Devise galt auch schon für das bezwingende Projekt „Tunkashila“ 2023, eine Spurensuche die einen keltischen Kraftplatz umzingelte. Das Projekt „Unterm Eis“ beginnt mit 2 eindringlichen Zitaten aus dieser Schau (April 2023).
Recht bald erkennt die für dezent farbige Menschen- und Katzenporträts bekannte Malerin, dass ihre Sympathie zunehmend weniger den Farben und Leinwänden, als vielmehr den Schwarzweiß Spannungen, dem Expressiven und still Lyrischen und damit den unspektakulären Utensilien: Bleistift, Graphit und Papier gehört. Und so begegnet man hier vorwiegend den Materialien: Transparentpapier, Graphit, Ölkreide, Kohle, Druckerschwärze, Bleistift oder Fineliner. Experimentelle Monotypien und (nicht durchweg) spielerische Demontagen von Polaroid-Filmschichten greifen diese Tonlagen auf.
„Unterm Eis“ spielt gleichsam in den weiten und unberührten, bisweilen melancholischen Landschaften Schwedens. Reale Dimensionen verschwimmen, verrücken sich vor unseren Augen, wir gewahren riesige Kreaturen und klitzekleine Landschaftsausschnitte. Unser Blick haftet auf oft unscharf, nebulös, dunstig und schleierhaft anmutenden Motiven, die nicht selten wie Schatten, schwache Abdrücke, Phantome, Halluzinationen, Wahn- oder Traumgebilde, wie ephemere Erscheinungen vorbeihuschen.
Mit Leitmotiven wie Elche und Raben auf, erzählt oder souffliert die Künstlerin von verborgenen Naturmagien und von unerklärlichen Geschehnissen, von einer geheimnisvoll vibrierenden Tierwelt, die irgendwie wie verzaubert wirkt.
Atmosphärisch wirksam eingeschaltet werden Zwielicht und Dämmerschein oder jene weite, fast mystische Weiße in der Elchfamilien beheimatet sind.
Was wäre wenn“, also ein Konditionalis, ein Irrealis oder eben eine Hypothese, eine Spekulation steht Pate für die 73. Ausstellung der TG. Was geschähe, wenn im Zuge fortschreitender Erderwärmungen, Gletscher- und Eisschmelze ein archaisches, mythologisches Wesen auftaute, vom Eise befreit nunmehr als Feuergott seine einstige Kraft, Macht, Aura oder auch sein Segenspotential zurückerlangte?
Ein schwarze, Feuerkörper entsendender Feuer-Schöpfungsgott erwacht in der fiktionalen Dokumentation von Viktoria Salma zum Leben; dieses „mystische Artefact“ hat sich bereits inkubiert im Äther, in Landschaften und Kreaturen. Nur wir Menschen bemerken es nicht.
Aus schier unendlichen unterirdischen Tiefen, aus öligem Morast, Schutt, Asche und Geröll entfesselt wird in einem geradezu sakralen, spirituellen Enthüllungsakt die „Befreiung des Feuerkörpers“ (vgl. das Schweißtuch der Veronika).
Spuren seiner ein- und angreifenden Präsenz sichten wir im angekohlten Transparent „Feuerelche“; schwarze, schwärende Feuergeschosse mit wildem, rotierendem, energiegeladenem Innenleben entdeckt man in exzellenten Porträts von Elch und Elchembryo und Elchkuh.
Tiere, ungebrochen und durchlässig, verhaftet im Naturhaften, im Ursprünglichen, im physischen Hier und Jetzt, im Instinktiven und Sinnlichen, sind offenbar Katalysatoren oder Sensoren von nicht greifbaren, ambivalent deutbaren Einflüssen und Veränderungen („Geburt neuer Monde“). Offenbart sich der „göttliche Funke“ oder eine wilde, dunkle, möglicherweise dämonische Energie?
Elche, Raben sind die Protagonisten von mit informellen Zeichnungen verknüpften Monotypien; zu bestaunen sind: schattig changierende Porträts, die flüchtig an Goyas „pinturas negras“ erinnern. Wirklichkeit und Traum. Tag und Nacht, Neubeginn und Ende, Leben und Tod sind durch fließende Grenzen miteinander verknüpft.
Das spielerische Tranchieren von Polaroid Schichten, das Verzahnen von Filmmaterial, Zeichnung und Fotografie ist auch ein pioniermäßiger Vorstoß zu geheimen, rätselhaften und unheimlichen Blickpunkten: ein Seeungeheuer, eine unergründliche Landschaftsmorgana. Überdies beschert Viktoria Salma en miniature malerische Landschaften, die bisweilen an japanische Tuschpoesien erinnern.
Allenthalben triumphiert ein erstaunlicher Meisterstreich: die ästhetisch bestechende Mischung aus faszinierender Magie, Entrücktheit und Wirklichkeitsnähe.
Text: Christina zu Mecklenburg
Bonn, November 2024